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Gelassenheit im Job? – In 10 Schritten von der Selbstklärung zur Gelassenheit

„Gelassenheit […] ist eine innere Einstellung, die Fähigkeit, vor allem in schwierigen Situationen die Fassung oder eine unvoreingenommene Haltung zu bewahren. Sie ist das Gegenteil von Unruhe, Aufgeregtheit, Nervosität und Stress. Während Gelassenheit den emotionalen Aspekt betont, bezeichnet Besonnenheit die überlegte, selbstbeherrschte Gelassenheit, die besonders auch in schwierigen oder heiklen Situationen den Verstand die Oberhand behalten lässt, also den rationalen Aspekt innerer Ruhe.“ (Quelle: Wikipedia)

Oftmals reden wir gerade im beruflichen Umfeld von „Gelassenheit“, fordern sie ein oder liefern vielleicht sogar Tipps zu mehr Gelassenheit, aber bleiben meist beim „rationalen Aspekt innerer Ruhe“, also der „Besonnenheit“. Für jemanden, der seinen Job als rein intellektuelle Leistung versteht, mag es schwer sein, sich auf die emotionalen Aspekte der „Gelassenheit“ überhaupt einzulassen. Es mag antrainiertes Verhalten sein, oder vielleicht sogar ein wenig Selbstschutz, sich gerade im beruflichen Alltag nicht sonderlich mit seinen Empfindungen, seinen Gefühlen und Emotionen beschäftigen zu wollen. Da liegt es doch näher, bestrebt zu sein, dass auch in herausfordernden Situationen der Verstand die Oberhand behält und aufkommende Emotionen notfalls unterdrückt werden. Dass permanent unterdrückte Gefühle dauerhaft krank machen, das wusste schon S. Freud und über die psychischen und psychosomatischen Effekte einer solchen „Verdrängungsstrategie“ könnten Ärzte und Psychologen eine Menge erzählen. Aber das soll jetzt nicht Gegenstand dieses Artikels sein.

Mich beschäftigt vielmehr die Frage, wie ich in Konfliktsituationen gut für mich selbst sorgen kann und wie ich es schaffen kann, über reine „Besonnenheit“ hinaus zu einer echten „Gelassenheit“ zu gelangen. Mit der Zeit haben sich für mich 10 Punkte herauskristallisiert, die mir in Konfliktsituationen zu mehr innerer Klarheit, innerer Stärke und letztendlich zu mehr Gelassenheit verhelfen.

Manchmal ist es erforderlich, erst einmal aus der akuten Konfliktsituation herauszugehen (Exit-Strategie), um den Konflikt mit Abstand und in aller Ruhe reflektieren zu können.

  1. Wahrnehmung prüfen: Was beobachte ich? – Was passiert gerade? – Wichtig ist hierbei eine möglichst wertfreie Beobachtung der Situation / des Sachverhaltes, möglichst keine Bewertungen, keine Interpretationen, keine Verurteilungen.
  2. Gefühlslage checken: Was löst diese Beobachtung gerade in mir aus? – Wie fühle ich mich? – Wie fühlt es sich an? – (Hier kann es schon recht herausfordernd sein, einmal die Sachebene zu verlassen und von seinem Kopf in den Bauch zu wandern… – Gerade im beruflichen Umfeld sind wir es oft nicht gewohnt, Gefühle überhaupt zuzulassen.)
  3. Ursache finden: Warum fühle ich mich gerade so? – Was gerät gerade bei mir in Mangel? – Was fehlt mir gerade? – Was hätte ich jetzt gern? – Was brauche ich?
  4. Möglichkeiten zur Selbsthilfe prüfen: Was kann ich gerade selbst für mich tun, damit dieser Mangel beseitigt wird? – (Je konkreter dieses „Hilfsangebot an uns selbst“ ist, umso effektiver ist es auch.)

Diese ersten vier Schritte verhelfen schon dazu, eine gewisse Selbstklärung zu erlangen. Jetzt, da mir selbst klar ist, worum es mir geht, was mir wichtig ist und was ich benötige, kann ich feststellen, dass dies allein schon für ein wenig Beruhigung sorgt, auch wenn ich im Moment unter Umständen noch nicht von „tiefer Gelassenheit“ sprechen kann, weil immer noch Dinge im Mangel sind, zum Beispiel Bedürfnisse nach Harmonie oder Verbindung zum Kollegen, mit dem ich gerade in diesem Konflikt stecke.

Konflikte entstehen immer dort, wo scheinbar unvereinbare Ansichten geäußert werden oder wo scheinbar gegensätzliches Handeln aufeinandertrifft. Verfüge ich über die nötige Energie, wäre es also hilfreich, mich mit dem „Gegenüber“ im Konflikt und seinen Beweggründen zu beschäftigen:

  1. Empathische Vermutung: (Ausgehend von der wertfreien Beobachtung in Punkt 1) – Wie mag es dem anderen gerade gehen? – Wie mag er sich gerade fühlen?
  2. Erkennen möglicher Mangelsituation: Warum mag er sich gerade so fühlen? – Worum mag es dem anderen gerade gehen? – Was benötigt er gerade?
  3. Hilfsangebot finden: Wie kann ich den anderen gerade unterstützen, damit sein Mangel beseitigt wird?

Gleichwohl die Punkte 5 – 7 nur meine ganz persönlichen Vermutungen sind, helfen sie mir, den anderen mit anderen Augen zu sehen. Ich werde mir bewusst, dass hinter dem, was er sagt und tut, auch Bedürfnisse stehen, die er sich zu erfüllen versucht. Er will mich nicht ärgern, mit dem, was er tut, sondern sorgt für sich. Habe ich mich bis zu dieser Erkenntnis hervorgearbeitet, kann ich feststellen, dass nun innere Ruhe und Gelassenheit wiederum ein wenig gewachsen sind. Bevor ich nun zur Sachebene zurückkehre, um vielleicht aktiv zur Beseitigung des Konfliktes beizutragen, stellen sich folgende Fragen:

  1. Ressourcencheck: Verfüge ich im Moment über die nötigen eigenen Ressourcen, um im Kontakt mit dem anderen den Konflikt anzugehen?
  2. Prioritätscheck: Welche Bedeutung messe ich diesem Konflikt bei? – Wie wichtig ist mir die Verbindung zum anderen? – Wie wichtig ist mir die Klärung?

Habe ich auch in diesen Punkten Klarheit gewonnen, dann kann ich zum letzten Punkt kommen:

  1. Lösungsmöglichkeiten reflektieren: Wie lassen sich meine Mangelsituation (Punkt 3) und die des anderen (Punkt 6) voneinander abgrenzen oder vielleicht auch vereinbaren? – Gibt es vielleicht Strategien, die uns beiden gleichermaßen weiterhelfen? – Inwieweit wäre uns beiden gleichermaßen geholfen, wenn Handlungsweisen nur leicht angepasst würden?

Der aufmerksame Leser wird bemerkt haben, dass ich innerhalb dieser 10 Schritte komplett bei mir selbst war und ein Austausch mit dem Konfliktpartner überhaupt nicht stattgefunden hat. Wenn, wie eingangs zitiert, der Begriff „Gelassenheit“ den emotionalen Aspekt innerer Ruhe betont, dann komme ich nicht umhin, mich zuallererst mit mir selbst, meinen eigenen Befindlichkeiten und meiner eigenen Gefühlslage auseinanderzusetzen. Daher legen die Punkte 2 – 9 den Schwerpunkt auf die emotionale Ebene, sorgen für Selbstklärung und Klarheit und letztendlich zu innerer Gelassenheit.

Es ist noch nicht einmal wichtig, in jedem Konflikt möglichst zeitnah diese 10 Schritte abzuarbeiten. Schon allein das Wissen, dass unserem Handeln Bedürfnisse zugrunde liegen, die wir uns erfüllen möchten, schon allein die Grundhaltung, dass der andere nicht so handelt, wie er handelt, weil er mir schaden will, schenkt mir diese Gelassenheit, diesen emotionalen Zustand innerer Ruhe.

Ich schaffe es also, auch in schwierigen Situationen gelassen zu bleiben. Und wenn mir viel daran liegt und ich die nötige Energie besitze, dann kann ich sogar aus dieser Gelassenheit heraus Konflikte angehen und zu Verständnis und Verbindung beitragen.

In diesem Sinne hat diese Gelassenheit eine viel höhere Qualität, als eine „Besonnenheit“, zu der ich mich vielleicht in manchen Situationen „um des lieben Friedens“ zwinge, wohl wissend, dass ich mir selbst ein klein wenig Gewalt antue, wenn ich versuche, mit meinem Verstand meine Emotionen zu beherrschen und zu unterdrücken.

Dies ist mein kleines, ganz persönliches „Kochrezept“, um auch in schwierigen Situationen zur Gelassenheit zurückzukehren. Es würde mich freuen, wenn ich Sie in Ihrem Bestreben nach mehr Gelassenheit (nicht einfach nur Besonnenheit…) im Job, im Alltag und überall ein wenig unterstützen konnte. Da, wo wir mit Ruhe und innerer Gelassenheit auch in schwierigen Situationen in der Lage sind, auf den anderen zuzugehen, kann dies zu mehr Miteinander, zu völlig ungeahnten Verständigungseffekten und völlig neuen Lösungen führen.

14. Januar 2022