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Wertschätzungsinflation???

Gerade im beruflichen Umfeld hört man in letzter Zeit häufig Begriffe, wie Wertschätzung, Achtsamkeit, Nachhaltigkeit, um nur einige zu nennen, und ich bekomme manchmal den Eindruck, dass hier und da derartige Begriffe recht oberflächlich und leichtfertig, aber oftmals umso häufiger benutzt werden. Liegt es daran, dass wir in letzter Zeit im beruflichen Umfeld besonders wertschätzend und achtsam miteinander umgehen? – Liegt es eher daran, dass wir erkannt haben, wie wichtig diese Begriffe für ein angenehmes und förderliches Arbeitsumfeld ist? – Oder springen wir „einfach nur“ auf einen Zug auf, weil es gerade im Moment angesagt ist, darüber mitzureden?

Was hat es mit dieser „Wertschätzung“ auf sich? Der eigentliche Wortsinn lässt vermuten, dass es darum geht, hier einen bestimmten Wert abzuschätzen, so wie wir gerade im beruflichen Umfeld oftmals bemüht sind, alles und jeden auf kurze, knackige und möglichst aussagefähige Kennzahlen (KPIs), Ampeln und Alarme zu reduzieren.

Wie wertschätzend ist zum Beispiel ein Zielerreichungsgespräch, welches dem Mitarbeiter am Ende des Geschäftsjahres übermittelt, welchen „Wert“ er erbracht hat und welchen Zielerreichungsgrad er sich auf die Fahne schreiben kann?

Wie wertschätzend ist dieser allzu bekannte verbale Schulterklopfer: „Müller, das haben sie gut gemacht!“, oder „Meier, wenn wir Sie nicht hätten…!“? – Was kann der Mitarbeiter damit anfangen?

In der Gewaltfreien Kommunikation üben wir uns darin, Wertschätzung nicht als ein Instrument zu sehen, mit dem der andere, seine Leistung, sein Können oder seine Fähigkeiten bewertet werden. Vielmehr geht es darum, in ehrlichem Selbstausdruck dem Vorgesetzten, Kollegen oder Mitarbeiter ganz klar zu bekennen: „Was hat das, was Du gerade gesagt oder getan hast, mit mir gemacht!“.

„Herr Müller, ich freue mich, dass Sie mir die Liste gestern Abend noch gemailt haben. Das gibt mir die Sicherheit, im heutigen Meeting gut vorbereitet und Aussagefähig zu sein. Vielen Dank dafür!“.

Ich bekenne ganz offen, wie wertvoll es MIR war, was der andere getan hat, gebe zurück, wie ICH mich dabei fühle und welche Bedürfnisse sich dabei für MICH erfüllen. Der andere erhält ein konkretes und transparentes Feedback und ich stelle darüber hinaus eine Beziehung jenseits der Sachebene her.

Wenn wir versuchen, uns auf diese Weise „inflationär wertzuschätzen“, ich hätte nichts dagegen!

16. Juni 2015